Jennes von High Voltage – Green Touring bietet neuerdings Touren mit einem E-Tourbus an und war so freundlich, mir seine Erfahrungen und Gedanken zum E-Touring zu erzählen.
Hi Jennes, Du hast mir geschrieben, dass Du mit einem Elektrobus tourst. Ist das dann etwa tatsächlich der erste E-Tourbus in Deutschland oder gar in ganz Europa?
Naja, man kann kleine E-Busse ja durchaus bei Vermietern finden, vielleicht bin ich der erste, der sich an Bands richtet und Musik-Tourneen fährt. Da uns ja die letzten Jahre eingeredet wurde, dass das alles superschwierig sei mit e-Fahrzeugen, traut sich wohl niemand damit auf Tour zu gehen; bei uns Musikanten geht es ja schon um Reichweite.
Was ist das genau für ein Bus? Können Bands den Bus bei Dir mieten bzw. müssen oder dürfen sie Dich als Fahrer mitmieten?
Das ist ein handelsüblicher Mercedes eVito extralang, als 8-Sitzer, ist baugleich mit dem Mercedes EQV, nur mit weniger Schnickschnack. Das war bis vor kurzem das einzige tourtaugliche Elektro-Fahrzeug, was Größe und Reichweite angeht, mittlerweile ist die Konkurrenz recht nah dran.
Eigentlich vermiete ich das, weil ich ein kleines Kind hab und nicht mehr ganz so viel touren möchte. In der Anfangs- und Testphase, in der sich das ja noch befindet, fahre ich auch gern mal selbst, um das alles auszuchecken, mittlerweile kenne ich mich aber schon sehr gut aus. Ich kann Telefonsupport machen, oder fahren, wenn’s passt.
In meinem Artikel über die Zukunft des Tourens habe ich noch über das Problem der Reichweite von Elektrofahrzeugen geschrieben. Wie funktioniert das Touren mit dem Elektro-Tourbus, und wie löst Du das Problem?
Also ich empfinde das nicht so als Problem. Ein Raststop mit einer Band dauert ja eh seine Zeit. Also, meine Band braucht mindestens ’ne halbe Stunde, in der Zeit ist der Bus an einer Schnelladesäule von 20% auf 80% aufgeladen, zackigere Bands verlieren vielleicht ’ne Viertelstunde. Die Reichweite von 100% bis 0% liegt bei 300- 400km, je nach Fahrweise, Temperatur etc. Klimaanlage etc. sollte man sich eher sparen, das geht sehr auf die Reichweite.
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, mit 16 oder 32 Ampere Starkstrom zu laden, das sind diese roten größeren (Außen-)Steckdosen, die an jedem Club ab mittlerer Größe zum Anschließen von Nightlinern bereit stehen, kleinere Läden können auch mal ein Kabel aus dem Fenster legen oder beim Nachbarn fragen. Das ist dann „Normal“laden mit 3Phasen-Wechselstrom, wobei die Ladezeit ungefähr dem entspricht, wie lang sich so grob in Clubs aufgehalten wird, z.B. von 17 bis 1 Uhr… und das tendenziell kostenlos. Selbst wenn die Clubs auf die Idee kämen, das zu berechnen, wären es so ca. 15 €, die dafür anfielen.
Idealerweise heißt das, vollgeladen am Venue oder Schlafplatz losfahren, bei Strecken bis ca. 300 km am nächsten Club an den Starkstrom. Bei längeren Strecken bei ca. 20 % Schnelladen auf 80 % und weiter geht’s. Also mit einmal Schnellladen sind 500 km auf jeden Fall möglich.
Noch eine Möglichkeit besteht darin, über Nacht an einer öffentlichen „Normal“ladesäule oder der Wallbox am Hotel zu laden.
Erzähl‘ von Deinen Erfahrungen. Du erwähntest, dass Du mit Deinem Bus auch schon in Österreich und Ungarn unterwegs warst.
Österreich war easy, das ist noch die Komfortzone, wo das Auto an der Säule von meinem Hauptstromanbieter erkannt wird, der Strom günstig ist (ca 10 €/100km). Dort haben wir auch gemerkt, dass die Orte, wo die Schnelladesäulen stehen, oft viel angenehmer sind als Rasten oder Tanken, z.B. der Billa-Supermarkt mit sauberen, kostenlosen Klos und günstigem Kaffee.
Ungarn war ein bisschen wild, ich war nicht so gut vorbereitet, hatte gedacht, dass Apps heute wichtiger sind als Ladekarten, dem war hier aber nicht so. Die Ladekarte, die womöglich funktioniert hätte, war zwar inzwischen angekommen, aber halt zuhause.
Am Club ging gar nichts, ein ehemaliger Bunker unter einer Hauptverkehrskreuzung… Dadurch hab ich einige Stadtteile von Budapest kennengelernt mit verschiedenen für mich nicht funktionierenden Säulen. Es stellte sich dann heraus, dass die größte Tankstellenkette in Ungarn (MOL) Schnelladesäulen hat, wo es möglich ist, drinnen mit EC-Karte Strompakete von 10, 20 oder 40 kw/h zu kaufen. Die Säulen sind aber nicht so turbo.
Also Thema Vorbereitung: Es ist auf jeden Fall empfehlenswert, beim Booking/Advancing das Elektroauto anzukündigen, was für die Venues strommäßig ähnlich ist wie bei Nightlinern. Und natürlich bei neuen Ländern gut recherchieren, wie es dort funktioniert. Die Orte an denen es Nightliner-Anschlüsse gab (auf der Tour zwei von vier Venues) wunderten sich zwar über das Gefährt, haben aber keine Sekunde gezögert, uns an den Strom zu lassen. Sind die ja alle von den Nightlinern gewöhnt.
Was muss die Tourbusmiete bei Dir kosten, so dass sich der Anschaffungspreis des Busses rentiert?
Das ist noch nicht ganz raus, ich denke so 120 €/Tag plus Mwst., vielleicht mit Mengenrabatt. Das ist in etwa soviel, wie beim Normalo-Vermieter, wenn nicht gerade ein Sonderangebot reinkommt. Dafür ist das Laden ja deutlich günstiger, wobei es da ein paar Sachen zu beachten gibt, z.B. extrateure Ladesäulen zu vermeiden und lieber ein bisschen langsamer unterwegs sein (z.B. 110 km/h), das spart sowohl Strom als auch Ladezeit.
Dass sich das schnell rentiert und ich damit reich werde, scheint mir unwahrscheinlich, aber wir müssen ja mal loslegen damit. Die Anschaffung ist im übrigen nicht teurer als bei einem vergleichbaren Diesel, soweit ich das überblicke (mit den Dieselautopreisen kenne ich mich nicht so aus, aber die E-Auto-Preise purzeln gerade). Meiner ist ein junger gebrauchter und hat 44Tsd. € netto gekostet, und das nur, weil er extralang ist.
Wie bist Du zum Tourbusfahren bzw. -vermieten gekommen, was ist Dein Hintergrund?
Oh, ich mache schon lange selbst Musik und toure auch international (ganz früher mal Egotronic, dann King Khan And His Shrines), habe mich schon immer auch um Infrastruktur (Busse, Backline, DIY-Venues) gekümmert, habe Vans gehabt, die eher so unter befreundeten Bands benutzt wurden. Da ich schon lange auch Lkw fahre, lag dann Busführerschein und Nightlinerfahren nahe. Außerdem bin ich immer der von allen, der am wenigsten trinkt, und die Horde sicher nach Hause lenkt.
Denkst Du, dass in Zukunft das Touren mit elektrischen Tourbussen zur „neuen Normalität“ wird, und gibt es vielleicht Förderung in dem Bereich, damit mehr Leute „grün“ touren können?
Ich stelle mit großer Verwunderung fest, dass das Thema Green Touring breit diskutiert wird, es dazu relativ viel an Diskussion, Vereinen, Leitfäden, sogar Förderung z.B. für Touren mit dem Zug gibt, aber das Thema E-Tour Van anscheinend außen vor bleibt. Ich kann nur vermuten, dass das an der uns eingeredeten Angst vor mangelnder Reichweite und Infrastruktur liegt, was ja vielleicht auch mal richtig war. Bei kleinen Vans und eigentlich auch schon auch in der Sprinterklasse sollte das bitte bald normal sein, es geht ja.
Wie „grün“ ist das Touren Deiner Meinung nach im Gegensatz zum Touren mit herkömmlichen Tourbussen?
Also die alleinige Lösung sind E-Autos sicher nicht, es gibt ’ne Menge anderer Schrauben, an denen wir drehen können. Aber in einem Bereich, wo doch ordentlich Kilometer gefressen und entsprechende Mengen Abgase ausgestoßen werden, erscheint mir das doch sehr sinnvoll. Lokal, in den großen Städten, wo wir den Leuten direkt ins Gesicht pusten und global, weil wir ja alle den gleichen Himmel atmen.
Das Problem mit den Batterien ist sicher ernst zu nehmen, aber da geht auch einiges, die nächste und übernächste Batterie-Generation sind in den Startlöchern. Es gibt umfangreiche Entwicklungen zum Recycling und Second Life, z.B. werden ausgelutschte Akkus als Stromspeicher weiterverwendet, es gibt für das ehemals meistverkaufte E-Auto Nissan Leaf bereits Austauschbatterien und Upgrades, das kommt auch bei den anderen.
Ich kann das nur empfehlen, bin offen für Anregungen, Fragen, Vernetzung!
Weiterlesen → Diesel-Fahrverbote und die Zukunft des Tourens in Europa
Autor: Mary